20 Jahre Österreich und die Europäische Union

Wie so häufig während eines Jahreswechsel war ich auch 2014/2015 wieder einmal im wunderschönen Österreich zum Skifahren. Neid? Ja, ist angebracht 🙂

Bei meinen Streifzügen jenseits der Pisten ist mir eine österreichische Lokalzeitung aufgefallen. Nämlich die Salzburger Nachrichten. Das ich grundsätzlich doch recht angetan von dem Blatt bin, mache ich vielleicht einmal zum Gegenstand eines anderen Beitrages. Zum aktuellen Thema hat der Redakteur Gerhard Schwischel einen interessanten Leitartikel geschrieben. Unter einer Illustration mit der Bildunterschrift "Vernunftehe", geht Schwischel auf das 20-jährige Jubliäum ein, welches am 1. Januar 2015 stattgefunden hatte: Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union.

"Das vereinte Europa hat massiv an Vertrauen verloren" - Gerhard Schwischel, Salzburger Nachrichten

Wer ist eigentlich dieses "Europa"?

coin-155597_1280Es ist schon erstaunlich. Womit verbinden wir es eigentlich, dieses Europa? Ich glaube, in aller Regel mit dem Schengenraum, dem Euro, der Finanzkrise, Brüsseler Bürokratie und einer merkwürdig diffusen europäischen Wirtschaft. Zwischendurch hört man dann wieder Begriffe wie "Friedensprojekt" oder "Wertegemeinschaft". Aber wenn man mal ehrlich ist, ist für die meisten Menschen Europa vermutlich kaum über Finanzen und Regulierungspolitik hinaus greifbar. Vielleicht oder vermutlich ist auch das einer der Gründe, warum es ein wie auch immer geartetes geeintes europäisches Selbstverständnis in den Köpfen der meisten Europäer zumindest nicht in einer Art nationaler Ausprägung gibt. Traditionen, Stolz, Sprache, Heimat, Menschen - einige jener Dinge, mit denen man sich in seiner Herkunft identifiziert, haben keinen direkt europäischen Bezug.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschen eigentlich noch wissen, warum es die Europäische Union überhaupt gibt und welche Leitmotive, Ideale und eben auch Werte es waren, die in ihr über alle Mitgliedsstaaten hinweg gebündelt werden sollten. In Dresden können wir ja derzeit ganz wundervoll beobachten, dass es dort eine ganze Menge Menschen gibt, die es ganz offensichtlich nicht mehr so recht wissen und sich trotzdem Patrioten nennen. Am Rande sei erwähnt, dass ich mich jeden Montag wieder ärgere, dass diese Menschen sich als "Das Volk" bezeichnen, gar als Patrioten und die deutschen wie europäischen Farben tragen.

Mehr Nähe für Europa und Politik

Wie dem auch sei. Der österreichische Außenminister, Sebastian Kurz, hat anlässlich des Jubiläums am 1. Januar 2015 via Facebook mitgeteilt, dass man die EU wieder näher an die Bürger bringen müsse. Ich schätze Herrn Kurz ja wirklich sehr, aber damit hat er sich einer Floskel bedient, die auch hierzulande immer wieder gerne nichtssagend von Politikern um die Wette gegeigt wird. Wahlweise variiert mit der Ansage, man müsse die Politik wieder näher an die Bürger bringen.

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Sebastian Kurz via Facebook

 

Ja, verdammt! Das stimmt! Genau das muss man tun. Politik und Europa müssen für die Menschen in Europa und in den Mitgliedsländern (wieder) eine Rolle spielen. Aus meiner Sicht warten beide Themen, die natürlich gleichermaßen Politik sind, mit einem nicht zu verachteten Kommunikationsproblem auf. Sowohl in der Bundespolitik, durchaus oft genug auch in der Kommunalpolitik, wieder und wieder aber auch in der Europapolitik, hat man das Gefühl, dass die Herren Abgeordneten die Politik vor allem für sich selber machen. Und dann wundert sich der eine oder andere, wenn sich die Menschen von politischen Themen abwenden, nicht mehr zur Wahl gehen oder - im schlimmsten Falle - jenen nachlaufen, die einfach gestrickt und deshalb leicht verständlich sind.

Kommunikationsproblem

Jedes Jahr aufs Neue kann man es hören. Wir müssen Europa, wir müssen die Politik näher an die Bürger bringen. Neben der Tatsache, dass dieser Job natürlich den Abgeordneten und ihren Stäben zukommen muss, frage ich mich schon, wer es denn dann am Ende endlich mal organisiert. Viele Unternehmen reißen sich Arme und Beine aus, um "näher an den Kunden" zu gelangen. Strategien werden entwickelt, man setzt sich mit Kunden an einen Tisch, Produkte werden nicht einfach auf den Markt geworfen, sondern mit potentiellen Kunden erörtert, ihnen vorgestellt und danach fließt ihre Meinung in die Weiterentwicklung des Produktes.

Aber wenn etwas wirklich für die Menschen gemacht sein muss, dann ist es doch vor allem auch die Politik. Denn sie hat ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen. Und die Menschen sind nicht unbedingt politikverdrossen. Jedenfalls nicht, wenn man sich mal an die abendlichen Stammtische hockt. Nur fehlt es oft genug an einer guten, transparenten Aufklärung. Und einer besseren Mitbestimmung.

Die Europäische Union ist und bleibt aus meiner Sicht ein dickes Plus der Weltgeschichte. Und eigentlich sollte Europa, ebenso wie die Nationalstaaten, ein hoch emotionales Thema sein. Das gelingt aber nicht, wenn ein europäisches Verständnis über die Finanzmärkte nicht hinaus geht.

Ein europäischer Feiertag?

Oft genug sind es die kleinen Dinge, die etwas Großes nach und nach zum Leuchten bringen. In jedem Land Europas werden nationale Feiertage gefeiert, Traditionen gepflegt und Werte hoch gehalten. Persönlich finde ich es bedauerlich, dass dies auf europäischer Ebene in der Form noch nicht gelungen ist. Vielleicht wäre es nicht verkehrt, die Gründung der Europäischen Union zu einem europaweiten Feiertag zu machen und nicht nur der einzelnen Beitritte in den jeweiligen Ländern alle Jubeljahre zu gedenken. Menschen kommen an solchen Tagen zusammen. Dort bilden sich Plattform für ein gemeinsames Verständnis, für Aufmerksamkeit und Erinnerung. All das täte Europa und seinen Bürgern jenseits von Politik und Geldgeschäften gut.

Martin Wilbers

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