Flucht vor Hass und Ausgrenzung
Der Wunsch zu lernen
Oder Mohammed aus Damaskus. Er kommt aus guten Verhältnissen. Hatte ein Auto und eine Eigentumswohnung. Ebenso wie ein Studium. Bis Assad und der IS seine Heimat in das Chaos stürzten. Er erzählt, dass es in Damaskus gefährlich ist, morgens zur Arbeit oder zur Uni zu gehen. Jeden Tag kann dort etwas passieren. Im Zweifel etwas Tödliches. Seine Eltern sind trotzdem dort geblieben. Weil sie Angst davor hatten, dass sie wegen ihres hohen Alters in einem anderen Land überhaupt nicht mehr zurecht kommen würden. Er sagt, dass sie recht sicher in Damaskus sind. Solange sie ihre Wohnung nicht verlassen. Und er sagt es in gutem Deutsch, das er in den letzten Monaten gelernt hat. Sein Wirtschaftsstudium, Hochhandel heißt es in Syrien, ist in Deutschland nichts wert. Deshalb will er wieder an die Uni. Einen deutschen Abschluss machen. Er möchte niemandem auf der Tasche liegen, sondern sich eine Zukunft aufbauen. Manchmal, sagt er, versteht er die Deutschen schon. Denn er weiß, dass einige seiner Landsleute, die nach Deutschland geflohen sind, nicht Deutsch lernen wollen. Oder arbeiten gehen möchten. Aber er sagt auch, dass man das nicht verallgemeinern darf. Das gelte keinesfalls für den Großteil der Flüchtlinge aus seiner alten Heimat.
Er schaut verzweifelt drein, sucht kurz nach Worten und erzählt uns dann, dass doch nicht ernsthaft jemand glauben kann, dass man seine Heimat, sein Zuhause einfach so verlässt. Er sei nicht geflüchtet, weil er etwa arm gewesen wäre. Sondern, weil die allgegenwärtige Todesgefahr ein vernünftiges Leben nicht mehr möglich gemacht hat. Und nach nichts anderem sucht er. Einem sicheren Platz für ein vernünftiges, sinnvolles und erfülltes Leben. Dafür hat er Tausende von Euros aufgewendet, um über das Mittelmeer und die Balkanroute nach Deutschland zu flüchten. Und jetzt hat er nichts mehr. Ob er seine Eltern vermisst? Sicher. Aber er kann ihre Entscheidung in Damaskus zu bleiben verstehen. Sie kennen nichts anderes.
Von der Uni ins Chaos
Ähnliches erfährt man, wenn sich mit der ukrainischen Rechtsprofessorin und ihrer Familie unterhält. Sie hat an einer Universität in der Ukraine gelehrt. Gemeinsam mit ihrer Familie hatte sie ein gutes und durchaus zufriedenes Leben. Bis der Krieg im Donbass los brach und alles, was sie Heimat nannten, im Chaos des Artilleriefeuers versank. Sie seien nicht arm. Sie hätten das, was sie hatten und was ging mitgebracht, um sich hier ein Leben in Sicherheit aufzubauen. Auch sie wollen niemandem auf der Tasche liegen.
Ihnen allen merkt man an, dass sie auf der einen Seite dankbar für die Zeit und die Gastfreundschaft sind, die sie an diesem Tag erleben. Aber man merkt in dem einen oder anderen Gesicht auch, dass sie sich manchmal ein wenig dafür schämen, auf Hilfe angewiesen zu sein.
Auf der Suche nach Anschluss
Mohammed denkt über seine Ankunft in Deutschland nach. Er sagt, dass es für ihn ein großer Wunsch wäre, Teil unserer Gesellschaft zu sein. Er möchte deutsche Freunde finden. Aber wenn er sich an die Szene zurück erinnert, die sich am Wochenende zuvor ergeben hat, als er in einer bekannten Bamberger Bar von einem Gast als "verdammter Asylant" beschimpft wurde, zweifelt er manchmal. Und alles in seinem Gesicht spricht in diesem Moment von einer gewissen Traurigkeit.
Und dann sieht man schließlich all die lachenden Kinder an diesem Tag, wie sie sich auf der Schiffschaukel amüsieren, spielen und sich gemeinsam mit unseren Kindern freuen. Und man kann nur den Kopf schütteln über all diejenigen, die heute ein Dach über dem Kopf haben - mag es auch vielleicht nur ein kleines sein - und diesen Menschen, die vor dem Nichts stehen, nicht einmal ihre Flüchtlingsunterkunft gönnen.
Es sind nur Menschen. Menschen, die auf der Flucht waren. Menschen, die Anschluss suchen und ihren Platz in der Mitte einer sicheren Gesellschaft finden möchten.
Martin Wilbers,
den Satz verstehe ich jetzt nicht so richtig. Was ist an dem Artikel falsch oder schlimm, dass sich das druckende Blatt für den Inhalt quasi entschuldigt?
Ich hatte beim lesen des Artikels eine Gänsehaut und Tränen in den Augen.
Hallo Ilse,
es freut mich, dass dich der Artikel bewegen konnte. Mich hat der gesamte Tag ebenfalls sehr bewogen. Was deine Frage angeht, musst du mir kurz helfen: Warum findest du, dass das „druckende Blatt“ sich für den Inhalt entschuldigt?