Führung - Wo ist die Vielfalt?

Die März-Ausgabe der Brand eins ist nicht nur brand aktuell, sondern auch brand heiß. Der Titel "Scheiß Job." ist zwar - wie ich finde - ein wenig irreführend, aber es geht um die Organisation von Arbeit, Strukturen, Unternehmen und Führung. Leidenschaftliche Themen von mir also. Spannend fand ich vor allem eine Seite, nämlich eine Statistik darüber welche Ausbildung die meisten Führungskräfte haben und wie sich das im Laufe der Zeit entwickelt hat. Und irgendwie macht mich diese Grafik nachhaltig stutzig.

Für manch eingefleischte Führungskraft ist völlig klar: Die junge, nachstrebende Generation, diese Y-Generation, probt den Aufstand. Einen Aufstand gegen erprobte, funktionale Strukturen. Einen Aufstand gegen die legitimierte Macht, die Führungskräfte haben. Weil sie sich nicht fügen wollen. Besser: weil sie sich nicht führen lassen wollen. Und das ist eine schwierige Angelegenheit.

Natürlich ist das so nicht ganz richtig. In irgendeinem meiner Beiträge habe ich schon einmal erwähnt, dass ich nicht daran glaube, dass größere Organisation ohne so etwas wie eine Hierarchie und Führung effektiv funktionieren. Nicht, weil Führungskräfte einfach klüger, besser und intelligenter sind. Sondern, weil nicht jeder Mensch gleichermaßen daran interessiert ist, Führungsaufgaben zu übernehmen, den Entscheider zu mimen und große Verantwortung für andere Menschen zu tragen.

Wider starren Bewertungssystemen

Der letzte Punkt ist übrigens so eine Art Knackpunkt. Viele Führungskräfte haben, meiner Meinung nach, kein Verständnis dafür entwickelt, dass Führung allen voran bedeuten muss, sich um die Menschen zu kümmern, die man führt. Und entsprechend als Vorbild in jedwedem Belang zu dienen. Führen heißt für viele immer noch: Dinge organisieren, Anweisungen und Aufgaben verteilen, Ergebnisse bzw. Performance kontrollieren, Zielvereinbarungsgespräche führen, Boni verteilen oder nicht, Firmenwagen fahren, mehr Geld als andere bekommen und so weiter und so fort. Macht. Das ist es worum es implizit in den Köpfen dieser Führungskräfte geht.

Ich glaube nicht, dass die "neue" Generation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht geführt werden will. Sie will nur nicht mehr so geführt werden wie ursprünglich mal geführt worden ist. Sie hat keine Lust mehr darauf, nur mehr als Excel-Tabelle mit KPI's wahrgenommen zu werden. Sie will als intelligenter, talentierter, wertvoller, beitragsleistender, selbstverantwortlicher Menschenschlag wahrgenommen werden. Nicht als Produktionsressource. Und das setzt einen anderen Führungsstil, besser: andere Führungsstile voraus, als das Bild des erhabenen, über allem thronenden, weisen Mannes, der auf jede Frage eine Antwort kennt.

Organisieren und Entscheidungen treffen - beides Dinge, die Führungskräfte immer werden tun müssen. Aber generell müssen sie sich doch darum kümmern, dass die Menschen, die mit ihnen arbeiten, gerne im Unternehmen sind, Perspektiven erhalten, sich weiterentwickeln und damit gemeinsam mit dem Unternehmen prosperieren können. Darum geht es doch. Natürlich ist man als Chef immer auch Problemlöser, aber die Menschen sind doch nicht dumm oder in organisatorischen Dingen unfähig, nur weil keiner "Leiter" auf ihre Visitenkarte gepinselt hat.

BWL als Kernkompetenz?

Dennoch bedeutet Führung auch immer noch Kontrolle nach Zahlen. Key Peroformance Indicators. Balkendiagramme. Zielerreichungsstatistiken. Dinge, die teilweise überhaupt nicht wiedergeben können, ob ein Mitarbeiter jetzt wirklich gut war oder nicht, weil sich die Messgrößen nur starr festgeschrieben in den Unternehmen wieder finden, sich aber häufig nicht veränderten Rahmenbedingungen anpassen.

Stistik

Interessant an der nebenstehenden Statistik ist, dass noch immer die meisten Führungskräfte aus betriebswirtschaftlichen Studiengängen kommen. Einem Fach also, das ziemlich zahlen- und controllinglastig ist. Und dieses Fachgebiet hat in den letzten Jahren unter den Führungskräften zugenommen.

Nun kann man natürlich nicht pauschal jedem BWLer vor's Knie treten. Das wäre nicht fair. Vor allem nicht, wenn man selbst unter anderem irgendwann mal BWL studiert hat. Aber eine Frage kann man sich doch stellen: Wenn Führung, um den neuen Anforderungen gerechter werden zu können, menschlicher und wertschätzender werden muss, wenn Führung zu einer Serviceleistung im Dienste der Angestellten werden muss, damit diese wachsen und sich verbessern können und damit den Unternehmenserfolg steigern, wenn Führung gleichzeitig aber letztlich auch alle diesbezüglichen Entscheidungen in den meisten Organisationen fällt, warum wird Führung dann immer noch so häufig mit reiner Betriebswirtschaft verbunden?

Andere besser machen

Wäre es nicht eigentlich viel klüger, durchaus natürlich unabhängig vom Studiengang, Führung so zu organisieren, dass diese Aufgabe in den Händen von Menschen liegt, die nicht nur etwas über KPI's und Controllingparameter wissen, sondern sich vor allem in den sozialen und psychologischen Aspekten der Arbeit auskennen? Dafür werde ich jetzt bestimmt geprügelt.

Ich bin schon der Meinung, dass Führungskräfte eine gewisse betriebswirtschaftliche Grundausbildung benötigen, um umsichtig und gut führen zu können. Aber ein BWL-Studium ist noch längst kein Garant für die erfolgreiche Führungskraft. Gleiches gilt meiner Meinung nach für Geschäftsführer. Viel mehr denke ich, dass gute Führungskräfte ein tief gehendes Wissen über menschliche und zwischenmenschliche Zusammenhänge benötigen, vor allem, wenn sie Menschen bewerten sollen. Und auch Marktverständnis oder das Treffen richtiger Entscheidung bzw. das Tun richtiger Dinge findet ihren Anfang sicher nicht zwingend in irgendeinem Studiengang.

"As we look ahead into the next century, leaders will be those who empower others."

Bill Gates

Im Kern, so glaube ich, war das schon damals sehr weise. Denn heute schreit die Welt häufig genug danach, dass Führungskräfte Mentoren und Coaches sein sollen. Auf der anderen Seite werden auch sie häufig genug dazu genötigt, nach ausschließlich zahlenbasierten Systemen zu führen. Teilweise in Bereichen, in denen diese Systeme überhaupt keinen Sinn ergeben und nur deshalb genutzt werden, weil sie überall im Unternehmen Anwendung finden. Besser werden die Mitarbeiter und die Ergebnisse dadurch nicht unbedingt. Und mit Coaching hat das auch nicht viel zu tun.

Mehr "Leitende" aus anderen Disziplinen

Vielleicht wäre es viel zweckdienlicher, wenn mehr Führungskräfte, Entscheider und Geschäftsführer ganz andere Ausbildungshintergründe hätten.

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind (hoffentlich) großartig. Als Mensch und in dem was sie tun. Denn genau deshalb haben wir sie (hoffentlich) eingestellt. Und die wahren "Stars" eines Unternehmens sind bei weitem nicht ausschließlich seine Chefs. Sondern es ist die gemeinschaftliche Symbiose aus Leitungs- und Fachkräften. Wenn wir als Leitende unsere Mitarbeiter als Menschen begreifen, sie nicht als softwareprogrammierte Maschinen sehen, uns auf ihre Bedürfnisse und Wünsche einstellen, wenn wir selbst in unserer Arbeit das "typisch menschliche" zulassen, wenn es uns gelingt, uns oft genug von Zahlen zu lösen und uns psychologisches und soziologisches Wissen aneignen, dann können wir auch gute Coaches sein. Gute Mentoren. Gute Führungskräfte.

Wir alle sind nur Menschen. Und grundsätzlich sollte jedem Menschen zunächst zugestanden werden, dass er selbstständig denken, verantwortlich handeln und sich organisieren kann. Wir, die Führungskräfte, sollten allenfalls helfen, diese Dinge zu verbessern. Aber niemals sollten wir uns wegen irgendwelcher "Schulterklappen" der Arroganz hingeben, uns über alle anderen zu erheben. Ich bin stolz darauf, dass ich in meinem interdisziplinären Team richtig gute Leute habe und diese führen darf. Und ich hoffe, dass ich einen großen Beitrag zu ihrer Entwicklung leisten kann. Für mich, für sie und für unser Unternehmen.

 

Bildquellen: www.brandeins.de, Brand Eins 03/2015, mit freundlicher Freigabe von Brand Eins
Martin Wilbers

Leave a reply

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.