Karrierekiller "Chef". Eine Interpretation.

Sylvia Helper und Claudia Kimich haben so einige Gemeinsamkeiten. Sie beide sind Karriereberaterinnen. Beide haben dazu auch ein Buch geschrieben. Und beide haben unlängst einen Beitrag veröffentlicht, in dem es um Verhaltensweisen und Patzer gegenüber Vorgesetzten geht. Helper hat ihren Beitrag bei Business Insider Deutschland veröffentlich und nennt ihre zwölf karriereschädlichen Verhaltensweisen "schlechte Angewohnheiten". Kimich hingegen hat für XING-Spielraum geschrieben und will die "acht größten Fehler beim Verhandlungsgespräch mit dem Chef" entdeckt haben.

Das ist zunächst "dachthematisch" ein alter Hut. Spannend finde ich hingegen das Vorgesetztenbild, dass bei beiden Autorinnen zwischen den Zeilen zu lesen ist. Wobei spannend eigentlich der falsche Ausdruck ist. Vielmehr finde ich es erschreckend. Ich versuche mich mal an einer interpretativen Übersetzung.

"Wichtig ist zu wissen, dass jeder Chef seinen eigenen Nutzen im Sinn hat" - Claudia Kimich, XING-Spielraum

Lasst mich Chefs zunächst als "Führungskräfte" titulieren. "Chef" klingt so ... old school und irgendwie ... ach, ich weiß nicht. Bleiben wir also bei Führungskräften.

Führungskräfte sind also zunächst einmal egozentrische Alphatiere. Kimich schreibt, dass  Mitarbeiter sich in Verhandlungen fragen müssen, "wie sie den Chef gut dastehen lassen können". Schließlich leben wir ja in einer Ellenbogengesellschaft und Führungskräfte schmücken sich gerne mit fremden Lorbeeren. Immerhin wollen sie ja beruflich wachsen und da spielt es im ersten Moment keine Rolle, dass der Mitarbeiter das möglicherweise auch möchte.

Unternehmensziele? Irrelevant. Die Ziele der Führungskraft sind bedeutsam. In Gesprächen mit dem Vorgesetzten, also in solchen, in denen der Mitarbeiter etwas möchte, muss klar sein: Was für das Unternehmen gut ist, ist zunächst ein Bulletpoint irgendwo ganz unten auf der Argumentationsliste. Mitarbeiter müssen sich darauf konzentrieren, die Karriere der Führungskraft zu beflügeln. Nur das führt schließlich zum eigenen Erfolg. Irgendwann. Wenn die Führungskraft nicht mehr da ist vielleicht.

"Den Chef interessiert es in der Regel nicht, ob die Mitarbeiter noch ein Haus abbezahlen müssen oder ihre Kinder häufiger sehen wollen." ebd.

Führungskräfte sind Sozialversager. Was zählt ist schließlich der eigene Benefit. In welchen sozialrelevanten Umständen ein Mitarbeiter lebt, ist nebensächlich. Immerhin hat man Probleme und Sorgen morgens am Werkstor abzugeben und sich ganz darauf zu konzentrieren, dass der Vorgesetzte glänzt. Machen wir uns doch nichts vor: Ein Mitarbeiter ist zunächst einmal nicht viel mehr als eine Personalnummer mit Leistungsbeschreibung. Fehlt eigentlich nur noch der Strichcode auf der Stirn. Wer das nicht akzeptiert, der ist für die Führungskraft so schädlich wie ein Furunkel am ... großen Zeh. Merken!

Wer den Chef kritisiert, kann sich ganz hinten anstellen.

Frau Helper hat erkannt, dass es eine schlechte Angewohnheit ist, den Vorgesetzten zu kritisieren. Besonders schlimm: Offen den Führungsstil anprangern oder negativ über die eigenen Aufgaben sprechen. Nee, nee. Lass mal lieber. Denn erstens sind Vorgesetzte stets Narzissten und damit unfehlbar und zweitens heißt die Devise "Nicht fragen, machen!". Kritische Nachfragen sind anstrengend. Sollte man also lieber vermeiden. Sonst droht der desaströse Absturz spätestens beim nächsten Jahresgespräch. Wenn es überhaupt eines gibt.

Überhaupt ist Beschweren eine ganz unangenehme Sache, wenn man in seiner beruflichen Entwicklung weiter nach oben kommen möchte. Das mögen Vorgesetzte gar nicht. Sie sind Freunde der gepflegten Routine und mit Veränderungen können sie nur ganz schlecht umgehen. Wer über die Firmenpolitik oder interne Abläufe kritische Anmerkungen gegenüber dem Vorgesetzten fallen lässt, der fällt selbst. Und zwar ganz nach unten. Naja, konstruktive Vorschläge kann man schon machen. Aber Vorgesetzte sind von Natur aus missgünstig. Da muss man wirklich aufpassen.

"Man sollte aber auch nicht zu selbstbewusst sein. Das kann von Chefs schnell als Bedrohung oder Überheblichkeit angesehen werden" - Sylvia Helper bei Business Insider Deutschland

Selbstvertrauen ist wichtig. Aber irgendwie wirkt man auch schnell arrogant, wenn man in seine eigenen Fähigkeit festes Vertrauen hat und das auch noch sagt. Besser ist eine leicht demütig-devote Haltung. Vor allem vor der Allwissenheit desjenigen, der über Wohl und Wehe der eigenen Karriere entscheidet. Bloß nicht zu oft den Kopf heben und bitte auch mit der persönlichen Meinung gegenüber der Führungskraft vorsichtig sein. Das wäre vielleicht gut für's Unternehmen, aber schlecht für die nächste Beförderung.

Nicht ganz einig sind sich beide Beraterinnen was das Zeigen von Gefühlen angeht. Frau Helper findet das ziemlich ungut. Gefühle, pah. Wut und Frust lassen sich bei einem Spaziergang bestens herunter schlucken. Bloß nicht thematisieren, sonst wird man schnell "zum roten Tuch". Frau Kimich hingegen rät zwar zu einem besonnenen Auftreten, aber man dürfe dem Vorgesetzten gegenüber durchaus deutlich machen, wenn einen etwas emotional belastet.

Ein Körnchen Wahrheit

Zugegeben, das war jetzt sehr überspitzt. Natürlich haben beide Autorinnen auch gute Tipps auf Lager. Aber als ich beide Texte gelesen hatte, da stellte ich mir unter dem Begriff "Chef" einen cholerischen, eigennützigen, neurotischen Vollidioten vor, den so ziemlich überhaupt nichts anderes interessiert, als die eigene Person.

Dazu noch zwei Gedanken.

Erstens: Ich glaube, dieses pauschale Vorgesetztenbild ist unfair. Es macht eher Angst, als das es ermutigt. Es straft den Wunsch nach Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und persönlicher Entfaltung ab und verdammt die kritische Auseinandersetzung mit Prozessen und Vorgehensweisen, dem "Das haben wir aber schon immer so gemacht", zu einem absoluten Karrierekiller. Und das finde ich übertrieben.

Zweitens: Dummerweise glaube ich aber auch, dass nicht wenige Leser dieser beiden Artikel der vorgezeichneten Führungskräfte-Persona zustimmen können. Einen solchen Chef also erleben und unter ihm leiden. Für Unternehmen ist so eine Führungskultur schädlich. Heute vielleicht mehr denn je, weil sich die nachwachsende Arbeitnehmergeneration eben nicht mehr "abfindet", sondern geht. Schwierig, wenn man sich in einem nicht einfachen Fach- und Führungskräftewettbewerb befindet und Erfolg haben möchte. Übrigens ist damit auch der Erfolg auf dem Absatzmarkt gemeint. Schlechte Führungsangewohnheiten machen heutzutage rasend schnell die Runde. Auch zum Kunden. Und das hat aus meiner Sicht direkten Einfluss auf den Umsatz.

Man kann nur hoffen, dass solche Vorgesetzten ein Auslaufmodell sind und sich auch die Erfahrungen der beiden Personalberaterinnen ändern.

Titelbild: Hentl Smith, Flickr, Creative Commons
Martin Wilbers

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