Ein fragwürdiges Menschenbild

Jan Dams kommentiert die Abstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen in der Schweiz. Über eine grauenvolle Haltung.

Die Schweiz hat am vergangenen Wochenende als erstes Land der Erde nicht nur über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachgedacht, sondern sogar darüber abgestimmt. Vier von fünf Wahlberechtigten haben sich gegen das zur Wahl gestellte Modell entschieden. Jan Dams hat dieses Ereignis zum Anlass genommen in einem Kommentar in der WELT vom 6. Juni 2016 die Idee des Grundeinkommens als "marxistische Schnapsidee" zu titulieren.

Mal ganz davon abgesehen, dass man es sich angesichts der gewaltigen gesellschaftlichen Herausforderungen von morgen so einfach nicht machen kann, hat er seinen Standpunkt mit einem aus meiner Sicht äußerst fragwürdigen Menschenbild begründet. Er ist der Auffassung Menschen seien per se faul und ein Grundeinkommen würde vor allem dazu führen, dass Menschen träge würden. Im Übrigen, findet er, sei ohne das Streben nach wirtschaftlichem Wohlstand kein Motiv für Kreativität mehr vorhanden. Mehr noch: Der Glaube an das Gute im Menschen sei ein Geburtsfehler des marxistischen Systems gewesen.

Zunächst: Das bedingungslose Grundeinkommen ist aus meiner Sicht nicht mit dem marxistischen System gleichzusetzen, sondern ein Lösungsansatz unabwendbarer Probleme und Herausforderungen, die die Digitalisierung und die Veränderung unserer Arbeitswelt mit sich bringen werden.

Vor allem aber: Herr Dams! Was ist denn das bitte für ein frustriert-überhebliches, unreflektiertes und beinahe menschenverachtendes, mindestens aber respektloses Denken über die Menschen im Allgemeinen?

Es ist genau die Art von furchtbarer Haltung, die ich immer wieder bei Führungskräften beobachtet habe, die meinen, ohne sie ginge nichts. Und sie ist Grund genug dafür, warum ein großer Teil der Arbeitnehmer eher wenig bis garnicht motiviert zur Arbeit geht (vgl. Gallup Engagement Index 2015). Weil ihnen kein Vertrauen geschenkt wird. Weil sie in vielen Organisationen nicht als Mensch betrachtet werden, sondern als Ressource, die als Excel-Sheet ausgedrückt wird. Weil es Führungskräften oft nicht gelingt den Sinn einer Aufgabe oder Tätigkeit darzustellen. So eine Haltung zeugt meiner Meinung nach davon, dass man sich selbst zu wichtig nimmt und glaubt, ohne Peitschenschwünge und wahrnehmbar beobachtendes Controlling würde die Couch zum besten Freund des Menschen. Gut, das mag natürlich bei der WELT so sein. Oder bei Herrn Dams.

Arbeitnehmer sind Menschen. Sie sind - und ich glaube an das Gute im Menschen - per se mündig. Ausnahmen bestätigen die Regel. Sie brauchen keinen sich selbst überschätzenden Vortänzer oder Druck, um zielorientiert Dinge zu tun. Was sie brauchen ist ein klarer und für sie nachvollziehbarer Sinn. Einen Grund also das zu tun, was sie tun. Wirtschaftlicher Wohlstand allein kann das nicht sein. Wäre das anders, würde es viele Start-Ups aufgrund von Personalmangel nicht geben, Kunst und Kultur ebenfalls nicht und die Erde wäre wohl möglich immer noch eine Scheibe.

Die Erde wäre wohl möglich immer noch eine Scheibe.

Die großen Errungenschaften der Menschheit haben sicherlich in ihrer Folge den Wohlstand bestimmter Menschen befördert und einige dieser Errungenschaften hatten als Motiv die Vermehrung von Kapital. Aber dies gilt vor allem für wirtschaftliche Erfindungen. Viele andere aber fanden ihre Initialzündung durch das freie, sinnhafte und leidenschaftliche Tun und Denken von Menschen mit Idealen und Visionen ohne Umsätze als Leitbild.

Nein, der Mensch ist nicht per se faul. Ich glaube, Menschen leisten gerne einen Beitrag für eine Sache. Auch für den Erfolg eines Unternehmens. Wenn man ihnen die Freiheit schenkt diesen Beitrag nach ihrem besten Können, nach ihren Fähigkeiten und Leidenschaften zu leisten, sie darin fördert, Sinn vermittelt, ihnen vertraut und Respekt vor dem Menschen als Ganzes hat. Das hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun.

Vielleicht entfalten die Menschen ihr volles Potential tatsächlich erst dann, wenn sie nicht vor allem von Existenzängsten und dem Narzissmus uninspirierter Vorgesetzter getrieben werden. Gleichsam ist das als mein Plädoyer für eine zeitgemäßere und menschenorientierte Führung zu verstehen.

Das bedingungslose Grundeinkommen mag etwas sein, dass erst morgen relevant werden wird. Herr Dams Menschbild jedenfalls ist für mich von vorgestern. Eine Schnapsidee geradezu

Martin Wilbers

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