Zum Innovation Report der New York Times

Ich habe das Dokument, welches letzte Woche in den sozialen Netzwerken auftauchte, mit großem Interesse gelesen. Vor allem natürlich, weil die renommierte New York Times immer als das Vorzeigeprojekt der Digitalisierung in der Verlagslandschaft genannt wird. Spannend ist, da gebe ich Holger Schmidt recht, dass auch die NYT mit jenen Problemen zu kämpfen hat, die auch den meisten anderen Verlagen ordentlich zu schaffen machen.

Mangelware Kommunikation

Als sehr spannend empfand ich aber auch, dass eine Kernthese, relativ zu Beginn des Berichts, die Kommunikation zwischen den Abteilungen als großes Übel identifiziert. Es gibt nämlich kaum eine. Im Bericht wird aufgezeigt, dass es möglicherweise doch recht zielführend sein könnte, wenn sich die Redaktion mit eben jenen Abteilungen des Hauses unterhielte, die sich auch mit Lesererfahrungen beschäftigen. Gewagt, gewagt, könnte man meinen! Die Autoren (zumeist Redakteure) des Reports bezeichnen diese Abteilungen als die so genannten „Business-Units“. Die Vermarktungseinheiten. Und so zeigt sich deutlich, dass auch ein renommiertes und nach außen hin so fortschrittliches Haus wie die NYT, die alten Pfründe eines Printverlages, tief begründet über eine lange Zeit so gepflegte Unternehmenskultur, nicht einfach  überwinden kann.

Kultur der Gegensätze: Verlag vs. Redaktion

Die Redaktionen – und das gilt sicher für viele Verlage –´galten und gelten als „heilige Kühe“. Die Redaktionen sind die Guten, die Vermarkter im selben Unternehmen irgendwie die Bösen. Platt ausgedrückt, könnte einem das so vorkommen. Als Redakteur schickt es sich in dieser Form althergebrachten kulturellen Verständnisses nicht, "gemeinsame Sache" mit einem Vermarkter zu machen. Denn sein Instrument ist die Werbung. Und die ist auch böse.

Nun gibt es sicherlich auch genügend Vermarkter, die sich oft nichts sehnlicher wünschen würden, als dass die Redaktionen bitte positiv und vielleicht auch etwas häufiger über die Werbekunden schreiben würden. Das geht natürlich nicht. Was man, nach meiner Erfahrung, aber dabei nicht vergessen darf: Viele Vermarkter wissen das. Sie wissen, dass eine Redaktion unabhängig sein muss. Und sie wissen auch, dass sie die daraus erwachsene Glaubwürdigkeit für ihre Arbeit bei den Kunden brauchen. Nur die Kunden, die wissen das nicht immer.

So aber ist eine Kultur der Gegensätze in vielen Verlagen entstanden, die überhaupt nicht sein muss. Und die es auch nicht braucht, um die Unabhängigkeit eines Pressemediums zu erhalten. Eine Zusammenarbeit zwischen Redaktionen und „Business-Units“ muss nicht dazu führen, dass man das eigene Medium zu einem PR- und Anzeigenmedium entwickelt. Die meisten Einheiten eines Verlages bewegen sich in denselben Zielgruppen. Leser und Kunden, wenigstens im Lokalen, sind oftmals identisch. Und die Vermarkter und Redakteure lernen dieser Tage viel über Werbewege im Internet, Communities und die Bedeutung sozialer Netzwerke.

Zusammenarbeit mit Verständnis

Ich glaube fest daran, dass die Autoren des Innovation Reports bei der NYT ein Erfolgskriterium identifiziert haben, welches eigentlich banal ist. Alle Einheiten sitzen im selben Boot. Die Redaktion kann nicht ohne die Werber, andersherum geht’s auch nicht. Es macht Sinn, alle Einheiten zu vernetzen, sich zusammen zu setzen, Ideen auszutauschen. Die Grundlage dafür muss ein gegenseitiges Verständnis der jeweiligen Arbeitsschwerpunkte sein. Und die Tatsache, dass eine Zusammenarbeit nicht zu einer unzulässigen Anzeigenkopplungskiste wird. Und ja, dazu gehört auch Native Adervertising. Eine unsägliches Verzweiflungsinstrument, das jede Form von Glaubwürdigkeit im Keim ersticken könnte.

Ganz ehrlich: Man kann auch hervorragende und mehrwertige Advertorials machen. Vor allem mit den vielen Möglichkeiten, die uns das Internet bietet. Platte Werbesprüche, Sonderpreise und schrill bunte Bildchen sollten es dann hier aber nicht sein. Nur: Werbeformen derart zu gestalten und in den redaktionellen Content zu streuen, dass der Leser kaum noch unterscheiden kann, was Werbung und was redaktioneller Inhalt ist, das halte ich für den absolut falschen Weg.

Letztlich denke ich aber, dass die unterschiedlichen Verlagseinheiten sich gegenseitig mit Wissen und Erfahrung befruchten können. Ich habe selbst das Glück, in einer solchen Kultur zu arbeiten. Sie ist ein grundlegender Baustein für gemeinsames Wachstum.

Muss es wirklich „WebTrash“ sein?

Der Innovation Report der NYT bezieht sich bei seiner Kritik vor allem natürlich auf die wachsende Konkurrenz. Holger Schmidt hat ein Schlagwort heraus gegriffen, welches bei mir selbst immer einen üblen Nachgeschmack hinterlässt: Click-Bait. Also Klick-Köder. Inhalte, die im Grunde Abfall sind, Zeitvertreib, die mit der Schaulustigkeit der Menschen spielen und so dafür sorgen, dass sie angeklickt werden. Angeblich sollen die User dann auf den entsprechenden Landingpages zu relevanten Inhalten kommen, die sie ebenfalls interessieren könnten.

Ein gutes Beispiel dafür ist BuzzFeed. Den ganzen Tag schwemmt BuzzFeed Müll-Inhalte in den Nachrichtenstrom der Facebooknutzer, die die Fanseite von BuzzFeed abonniert haben. Klickt man auf die entsprechenden Inhalte, so meine Erfahrung, landet man aber keinesfalls auf relevanten Inhalten, sondern eben auf der fortgeführten Müll-Halde, die BuzzFeed via Facebook angeboten hat.

Der Bericht der NYT deutet an, dass man die Tatsache der hohen Klickrate solcher Inhalte ja vielleicht nutzen könnte, um die eigenen, relevanten Nachrichteninhalte und Geschichten eben doch über solche Landingpages stärker ins Relevant Set der Menschen zu bringen.

Vielleicht bin ich ja völlig auf dem Holzweg, aber die Tatsache, dass Verlage teilweise massiv an Kundschaft verlieren, kann ja eigentlich nicht daran liegen, dass sie keine belanglosen Inhalte produzieren. Das Gegenteil ist ja zumeist der Fall: Die Inhalte sind so belanglos, dass das Produkt keiner mehr haben will. Relevanz geht verloren.

Wie viel Tiefgang darf‘s denn sein

Das wiederum führt unweigerlich zu der nach wie vor laufenden Debatte zum Thema „Qualitätsjournalismus“ und der Frage danach, was das ist oder wie man den herstellt. Die BuzzFeeds dieser Welt scheinen dafür zu sprechen, dass die Menschen sich viel lieber mit gefühl wenig relevanten Inhalten beschäftigen, als mit solchen, die die Presse normalerweise publiziert wissen will und die man in der Regel als „relevant“ bezeichnet. Die Bemühungen der Medien im Netz, so habe ich das Gefühl, führen vor allem dazu, dem Tiefgang von Geschichten ein Ende zu bereiten. Kurz, oberflächlich, schnell, aktuell, multimedial, etc. Das sind – so empfinde ich es – eher die Begrifflichkeiten, über die nachgedacht wird.

Vielleicht ist aber vor allem der Frage nachzugehen, welche Inhalte der Markt denn tatsächlich nachfragt? Gibt es keinen Platz mehr für tiefgehende, hintergründige Geschichten? Für politische und gesellschaftliche Ausführungen, deren Gegenstand am Ende zumeist irgendwie beim Bürger ankommt, ob der es will oder nicht? Interessieren sich die Menschen eben doch nicht mehr, für die Dinge, die in ihrem Umfeld passieren? Was genau ist da los? Vernünftige Marktforschung ist das Stichwort.

Am Ende, finde ich, müsste die redaktionelle Gestaltung eines Mediums viel mehr der Arbeit der „Business-Units“ folgen. Sie müsste nah am Kunden sein. Sie darf nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, alles besser zu wissen und dem Kunden vorzudiktieren, was er zu fressen hat und was nicht.

Auch in den Medien brauchen wir, dem gesellschaftlichen Wandel folgend, Produktdifferenzierung. Eins für alle ist nicht länger zukunftsfähig. Es braucht ein stärkeres Kundendenken. Und einen Weg das Spannungsfeld zwischen Kundendenken und dem demokratischen Auftrag der Medien für beide Belange sinnvoll aufzulösen. Und es braucht letztlich eben auch Kunden, für die politische und gesellschaftliche Themen nicht minderwertiger sind, als Katzenbildchen und die Frage danach, welche Schönheitsprodukte der 90er die Leser benutzt haben.

Martin Wilbers

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